Weichenstellen im Fischermätteli
Über die Zukunft des Fischermättelitrams in Bern herrscht seit Jahren Unklarheit. Schliesslich hat sich im September 2024 die Stadtberner Bevölkerung klar für den Erhalt der Tramlinie ausgesprochen, mit 76 % nahm sie den entsprechenden Kredit an. Kaum geschehen, streicht das Kantonsparlament im November 2024 den Kantonsbeitrag. Wie es weitergeht, ist erneut nicht klar. Ein Überblick.
Worum geht es?
Gleisanlagen und Fahrleitung des Fischermättelitrams sind in die Jahre gekommen und müssen bald ersetzt werden. Im gleichen Strassenbereich finden sich ebenfalls zu ersetzende Siedlungsentwässerungsanlagen. Ausserdem sollen Arbeiten an Elektroanlagen, der Beleuchtung und zur Verbesserung von Aufenthaltsqualität und Verkehrssicherheit erfolgen. Auch ohne Ersatz der Traminfrastruktur soll ein Grossteil der Arbeiten anfallen.
Wie viel kostet das Tram?
Wiederholt wurden Artikel veröffentlicht, welche behaupten oder suggerieren, die Kosten, die Traminfrastruktur ins Fischermätteli herzurichten, betrügen 42 Mio. Franken.
Dies sind allerdings die Kosten, welche das Gesamtprojekt verursacht. Ein kurzer Blick in den Fachbericht des Tiefbauamts der Stadt Bern offenbart: Bei Verzicht auf die Sanierung des Trams wird das Gesamtprojekt rund 8 Mio. Franken günstiger geschätzt, es entfallen also bloss 20 % der Gesamtkosten auf die Traminfrastruktur, 80 % entstünden auch bei einer Umstellung auf Busbetrieb. Des Weiteren hinterlassen einige Artikel den Eindruck, ohne Tram gäbe es keine Grossbaustelle. Auch ohne Neubau der Gleisanlagen sollen die alten Gleise entfernt, die Abwasserleitungen erneuert und der Strassenraum umgestaltet werden. Gebaut wird also auch, wenn die Tramlinie verschwindet.Abgesehen von den Infrastrukturkosten, muss man natürlich auch die Betriebskosten bedenken. Der Fachbericht vergleicht unterschiedliche Alternativen. Eine einzige Busvariante wäre im Betrieb günstiger als das Tram, die Umleitung der Linie 17 über die heutige Tramlinie. Diese wurde auch schon als Tramersatz umgesetzt. Wie viel günstiger diese Lösung wäre, ist unklar, geschätzt werden jährlich 100’000 - 700’000 Franken. Bei einer E-Bus Radiallinie, welche zwischen Bahnhof und Fischermätteli pendeln würde, wird hingegen mit Mehrkosten in der Höhe von 150’000 - 200’000 Franken gerechnet, bei einer Durchbindung mit der Linie 21 mit 200’000 - 250’000 Franken. Ein Trolleybusbetrieb Richtung Zentrum-Paul-Klee wäre gar 800’000 Franken teurer.
Im Falle einer Umstellung empfiehlt der Fachbericht eine E-Bus Radiallinie. Die Traminfrastruktur soll 20 - 25 Jahre halten. Geht man von 22.5
Jahren aus, bis die nächste Erneuerung fällig wäre, und von 175’000 Franken pro Jahr zusätzlichen Kosten für den Busbetrieb, so ergibt dies Mehrkosten von 4 Mio. Franken gegenüber dem Trambetrieb. Über diese Betriebszeit würde man also nur noch 4 Mio. Franken sparen. Hier sei erwähnt, dass Tramgleise durchaus auch mal länger halten, denkbar also, dass diese Ersparnisse nicht realisiert werden könnten.Was der Verzicht auf das Tram bedeutet
Umleitung der Linie 17
Die Fahrzeit des 17ers würde verlängert und eine der meisfrequentierten Haltestellen der Linie, der Loryplatz, nicht mehr bedient. Dort steigen aktuell 20 % der Fahrgäste aus, die zwischen Fischermätteli und Loryplatz den Bus nutzen. Die Frequenz müsste auf der Linie erhöht werden, um der Nachfrage zwischen Bahnhof und Fischermätteli gerecht zu werden. Häufiger fahrende Busse könnten durchaus als Vorteil gewertet werden, allerdings werden auch so hohe Belegungen prognostiziert. Entsprechend ist mit Komforteinbussen und schlechterer Fahrplanstabilität zu rechnen.
Zudem würden die heutigen Tramnutzer die direkte Verbindung in die Altstadt verlieren. Von dieser Verbindung machten im Juni 2021 täglich 2’300 Fahrgäste Gebrauch. Zum Vergleich: das 6i-Tram beförderte in der Brunnmattstrasse, also kurz vor Einmündung der Linie 6 in die Gemeinschaftsstrecke der Effingerstrasse,
3’200 Passagiere pro Tag. Für einen beträchtlichen Teil der heutigen Kundschaft wäre ein Linienende am Bahnhof eine klare Verschlechterung des Angebots.Ersatz durch Radiallinie
Naturgemäss entfiele auch hier die direkte Verbindung in die Altstadt. Die Linie wäre dadurch deutlich weniger attraktiv als die heutige. Die Ersparnisse über die prognostizierte Lebensdauer der Traminfrastruktur hielten sich, wie bereits erwähnt, in Grenzen.
Konsequenzen für das Gesamtsystem
Dass die Trams, welche ins Fischermätteli fahren, eher überdimensioniert sind, soll nicht bestritten werden. Von der Kapazität her könnte ein Bus durchaus funktionieren. Um das Angebot jedoch attraktiv zu halten, müsste eine Buslösung aber auch ins Gesamtsystem passen. Wie eben gezeigt, ist bei Busbetrieb keine gleichwertige Lösung in Sicht.
Wirklich interessant wird es allerdings, wenn man sich die Implikationen fürs anderweitige Tramnetz näher ansieht. Aktuell besteht das Netz aus vier Durchmesserlinien
und einer Radiallinie, welche westlich des Bahnhofs verkehrt. Mit der Inbetriebnahme des Trams Ostermundigen – man darf auf 2031 hoffen – käme ein Linienast im Osten hinzu. Es wäre nun möglich fünf Durchmesserlinien zu betreiben, kein Tram müsste mehr am Bahnhof wenden.Sollte die Strecke ins Fischermätteli entfallen, hätte man für wenige Jahre ein Netz mit gleicher Anzahl Tramstrecken beidseits des Bahnhofs und somit die Möglichkeit vier Durchmesserlinien zu betreiben. Bei Eröffnung des Trams Ostermundigen hätte man nun einen zusätzlichen Streckenast, es entstünde höchstwahrscheinlich eine Radiallinie im Osten der Stadt. Dies ist durchaus problematisch, denn das Wenden einer solchen im Bahnhofsbereich birgt mehrere Nachteile. Sie müsste die Wendeschleife via Wall- und Schwanengasse befahren.
- Heute wird diese Schleife in Störfällen befahren. Eine zusätzlich fahrplanmässig darüber verkehrende Tramlinie würde diese Funktion beeinträchtigen. Das Berner Tramnetz, das sowieso schon kaum über Ausweichrouten verfügt, wäre noch weniger resilient.
- Diese Schleife kreuzt die Velohauptroute, sowie die stadteinwärts fahrenden Trams und Busse. Letztere gleich zwei Mal. Es entstünden also mehrere Konfliktpunkte an einem neuralgischen Punkt im Berner ÖV-Netz, das kreuzende Tram wäre auch den Velos im Weg.
- Die zur Schleife führende Weiche am Hirschengraben liegt nicht am Ende des Perrons, sondern in dessen Verlauf und zwar vor dem Haltepunkt. Eine wendende Tramlinie aus dem Osten könnte aktuell also am Hirschengraben nicht halten.
Der letzte Punkt verdient besondere Beachtung. Gerade wird der Bahnhof Bern ausgebaut. Eine neue Unterführung wird errichtet, welche vom Hirschengraben aus erreichbar sein wird. Durchaus möglich also, dass in einigen Jahren der werte Steuerzahler aus seiner 375 Mio. Franken teuren Unterführung ans Tageslicht steigt um seinem 265 Mio. Franken teuren Tram, dass er eigentlich nehmen wollte, bei der gemütlichen Vorbeifahrt zuschauen zu müssen. Dies, weil man anderswo darauf bestanden hat, es zu versuchen einen mittleren einstelligen
bis tiefen zweistelligen Millionenbetrag einzusparen. Anpassungen an der Infrastruktur im Bahnhofsbereich dürften die Ersparnisse, die eine Umstellung auf Bus Richtung Fischermätteli brächte, sehr schnell negieren. Es blieben die Nachteile.Eine Möglichkeit wäre, das 6i-Tram über den Bahnhof hinaus zu amputieren und wie bis vor 15 Jahren am Casinoplatz wenden zu lassen. Einer Linie die Bahnhofanbindung wegzukürzen, wäre ebenfalls eine klare Angebotsverschlechterung.
Velo & Tram
Verkehrszahlen
Im unteren Teil der Brunnmattstrasse verkehrten im Juni 2021 täglich knapp 1’000 Velos, gleichenorts beförderte das Tram rund 3’200 Passagiere.
Sturzgefahr
In die Rillenschienen geraten ist ein bei Velofahrern gefürchtetes Malheur. Bei modernen, dem Behindertengleichstellungsgesetz entsprechenden Haltestellen bleibt nur wenig Raum zwischen Schiene und Bordstein. Letzterer ist besonders hoch, die Gefahr besteht, mit dem Pedal aufzuschlagen. An einer modernen Haltestelle im Gleisbereich vorbeizufahren ist nicht angenehm.
Berner sind gebrannte Kinder
2010 wurde das “Tram Bern West” eröffnet. Auffällig ist, dass die Velos die allermeisten Haltestellen im Gleisbereich passieren müssen. Dies ist beispielsweise auch in der doch sehr breiten Schlossstrasse der Fall. Problemlos hätte eine Führung der Velowege abseits der Fahrbahn realisiert werden können, doch der eigentlich üppig vorhandene Platz wurde stattdessen mit Farbe und Verkehrsinseln geschmückt. Schade, denn dies erweckt den Eindruck, dass Tram- und Veloinfrastruktur grundsätzlich inkompatibel seien. Es ist verständlich, werfen Velofahrer einen kritischen Blick auf ÖV-Projekte.
Beengte Platzverhältnisse
Busse benötigen keine Gleise, dies ist aus der Perspektive eines Velofahrers ein Vorteil, gerade im Haltestellenbereich. Der Strassenquerschnitt auf der Brunnmatt- und Pestalozzistrasse ist zu schmal, beidseits durchgehende Velostreifen sind nicht umsetzbar. Auch eine Umstellung auf Bus brächte also keine optimale Lösung. Stadtauswärts, also bergauf, soll das Absenken des Trottoirs auf Strassenniveau Abhilfe schaffen. Velos könnten einfacher auf das Trottoir ausweichen. Was heute bereits erlaubt ist, würde durch bauliche Massnahmen erleichtert. Stadteinwärts, also bergab, fahren Tram und Velo meist ähnlich schnell und kommen sich bedeutend weniger in die Quere.
Während das Tram den immergleichen Weg nimmt, ist ein Bus unberechenbarer. Er fährt nie genau so, wie er es zuletzt tat, nicht alle Fahrzeugteile nehmen in Kurven den gleichen Weg und er schwenkt stärker aus. Ausserdem sind Busse rund 25 cm breiter als Trams.
Gerade bei der Bergauffahrt kann es zu Begegnungen kommen, welche Velofahrer kaum als angenehm empfänden.Heute zeigt sich auf der Linie 6, dass sich Velos und Trams – entgegen gängiger Behauptungen – gar nicht so schlecht vertragen. Bei der Bergabfahrt positionieren sich Velofahrer oft unmittelbar neben dem Tram und fahren entspannt mit. Das Tram schafft dabei nicht nur Platz, sondern auch Orientierung im engen Strassenraum, ein Vorteil auch für den Veloverkehr.
Haltestellengestaltung
Bypass
Mittlerweile gibt es in Bern gelegentlich einen Bypass einer Haltestelle. Hierbei wird ein getrennter Veloweg zwischen der Haltestelle und dem eigentlichen Trottoir vorbeigeführt. Die Haltestelle ist quasi eine Insel, um sie zu erreichen muss der Veloweg überquert werden. Dazu fehlt auf dem Fischermättelitram leider der Platz.
Befahrbare Haltestellenkaps
Ein Haltestellenkap ist eine erhöhte Fläche, welche die Distanz zwischen Trottoir und Fahrbahn überbrückt. Ein solches ist für einen barrierefreien Einstieg häufig nötig.
Haltestellenkaps können auch befahrbar gestaltet werden, ob für Velo oder MIV. Dies erlaubt es bspw. den Velofahrern die enge Durchfahrt zwischen Bordstein und Schiene zu ersparen und ist gegenüber einem Bypass platzsparender. Nachteilig ist, dass es zu Konfliktsituationen zwischen Passanten, Wartenden und Velos kommen kann.
Alternative Gleisführungen
Zur kostengünstigen und platzsparenden Erstellung von Tramstrecken, können diese abschnittsweise nur eingleisig ausgeführt werden. Im Mischverkehr kann dies das Zusammenspiel mit dem MIV beeinträchtigen, die Vorteile kommen insbesondere bei Eigentrassee oder im Haltestellenbereich zur Geltung.
Neue Lösungen
Behindertengleichstellungsgesetzkonforme Tramhaltestellen in schwierigen Platzverhältnissen velofreundlich zu gestalten ist ein junges Problem und definitiv knifflig. Die schmalen, vorausschaubar verkehrenden Fahrzeuge wären ja eigentlich genau dort vorteilhaft einsetzbar. Hier zwei Gedankenspiele, wie velofreundliche Haltestellen auf dem Fischermättelitram aussehen könnten.
Beide Beispiele nutzen eine Gleisverschlingung, um die Breite der Tramtrassee im Haltestellenbereich zu reduzieren. Der Einstieg geschieht jeweils über befahrbare Haltestellenkaps. Es wird von Einrichtungsfahrzeugen ausgegangen, diese benötigen auf beiden Seiten Haltestellen. Bei exklusivem Einsatz von Zweirichtungsfahrzeugen könnte einseitig darauf verzichtet werden.
Im Gedankenspiel Munzinger liegt die Gleisverschlingung in der Strassenmitte. Beidseits wird die MIV-Spur über das Kap geführt. Der Velostreifen entfällt im Haltestellenbereich. Die Velos bleiben den Gleisen fern und es gingen keine Gebäudezufahrten verloren. Trams könnten im Haltestellenbereich nicht kreuzen.
Im Gedankenspiel Cäcilienplatz wird in eine Richtung nur der Velostreifen übers Kap geführt, der MIV nutzt in selber Richtung die Fahrbahn, in der die aussermittig angeordnete Gleisverschlingung liegt. Auch hier bleiben die Velos den Gleisen fern und das Tram kann nicht kreuzen. Das Tram, das für den Halt auf die Gegenfahrbahn wechselt, blockiert den MIV in beide Richtungen, Velos könnten weiterhin passieren. Die Haltestelle Cäcilienplatz kann aber auch gut umgangen werden, entsprechend soll die Veloroute auch signalisiert werden.
Die Gleisverschlingungen wären nur partiell auseführt, die Schienen der beiden Gleise würden nicht ganz anliegen. Ansonsten wäre die Fahrspur zu schmal. Um den restlichen Verkehr, oder auch nur einen potentiellen Busersatzverkehr gewährleisten zu können, muss die Distanz zwischen den Haltestellenkanten nämlich entsprechend grösser ausfallen.
Fazit
Einen Tramast im Westen zu verlieren, könnte in einigen Jahren einen neuralgischen Punkt im Berner öffentlichen und Veloverkehr stark beeinträchtigen. Man kann jetzt gewährleisten, dass dieser Tramast erhalten bleibt, dies zu einem vergleichsweise geringen Preis. Die Behebung der im Bahnhofsbereich zu erwartenden negativen Effekte einer Umstellung auf Bus könnten durchaus vergleichbare Kosten verursachen. Da eine Buslinie sich nur schlechter ins Gesamtsystem integrieren liesse als das Tram, bliebe dennoch eine Angebotsverschlechterung. Für den Veloverkehr auf der Brunnmattstrasse wird es so oder so keine perfekte Lösung geben.
Das Tram ist an sich ein platzsparendes Verkehrsmittel, entsprechend wünschenswert wäre, dass man auch bei kleinen Strassenquerschnitten velofreundliche Lösungen findet. Dies betrifft insbesondere Haltestellen, die Durchfahrt auf dem Velo kann dort unangenehm sein.
Die Trams, welche in Bern verkehren, sind sicherlich grösser als es die Nachfrage Richtung Fischermätteli verlangt. In der Gesamtschau aller Umstände bietet das Tram auf dieser Linie dennoch zahlreiche Vorteile, zu Recht wird dessen Erhalt empfohlen.